Pferde-Gesundheitsdienst

since 2003

 

Verhaltensbeobachtungen bei Wildpferden und „Nutzen“ für
Haltung und Umgang,sowie Limiten davon

 Einige Gedanken zu dieser Thematik, auch aufgrund und im Zusammenhang mit Inner Cercle-Teilnahme bei Marc Lubetzki,
Pferdefilmer und „Beobachtung natürlichen Verhaltens bei Wildpferden“

 

Beobachtungen an Wildpferden und deren Verhalten sind wichtige Grundlagen für das Verständnis des Pferdes und können hilfreich sein beim Verstehen von Problemen oder Konflikten bei der Pferdehaltung oder im Umgang. Wir sollten möglichst viel davon lernen!

Aber sie sollen nicht das alleinige Mass aller Dinge sein, wenn es um Haltung oder auch um Umgang mit den Pferden geht, denn schliesslich wollen wir ja etwas „mit ihnen machen“, also sie gewisser Massen „Nutzen“ und das in einem Umfeld, das nur noch teilweise an ihr natürliches Umfeld und Habitat erinnert. Schliesslich sind die Pferde unter unserer Obhut uns „anvertraut“, das heisst wir übernehmen quasi für sie eine grosse Verantwortung, müssen von Gesetzes wegen auch für sie sorgen.

Schliesslich und in diesem Zusammenhang, aber auch aufgrund der Nutzung müssen sich die Pferde in unserer Zivilisation – wohl oder Übel – an gewisse „unnatürliche Situationen“ auch zu ihrer und unserer eigenen Sicherheit gewöhnen.

Meine jeweilige Botschaft dazu:

Ich selber sage immer wieder an jedem SKN-Kurs und jedem der es hören will voll überzeugt:

  • Pferde haben Bedürfnisse und Triebe, die wir aus der Beobachtung von wilden Pferden, oder unserer Hauspferde „kennen“.
  • Hauspferde sind in Bezug auf Triebe und Verhalten weitestgehend noch „Wildtiere“
    Sprich: unsere Hauspferde haben dieselben Triebe und Bedürfnisse, wie ihre wildlebenden Artgenossen.
  • Die Grundbedürfnisse der Pferde und ihre Triebe sind sowohl in der Haltung und im Umgang unbedingt zu berücksichtigen und wo wir können sollen wir diese auch zu unserem Vorteil „nutzen“
  • Dieses Nutzen vom Wissen der Triebe und der Bedürfnisse soll im Idealfall sowohl uns, wie auch den Pferden dienlich sein, indem wir:
      1. besser für die Sicherheit der Pferde sorgen können
      2. besser für unsere eigene Sicherheit im Umgang mit den Pferden sorgen können
      3. die Pferde durch artgerechtere Haltung und Nutzung bei besserer Gesundheit erhalten können
      4. die natürliche Kommunikation der Pferde untereinander zur „leichten“, pferdegerechten Ausbildung der Pferde nutzen können und damit der Umgang mit den Pferden insgesamt stressärmer ist.

Das heisst also, wir sollten die Pferde möglichst gut kennen und auch gut beobachten. Wir sollten das daraus gewonnene Wissen nutzen, um gewisse Probleme allenfalls frühzeitig zu erkennen und möglichst gut Abhilfe zu schaffen, nicht aber, dass wir den Pferden zwingend „alles was sie in der Natur haben“ auch „bieten“ müssen.

Schliesslich halten wir die Pferde ja meist aus einem bestimmten Grund oder zu einem bestimmten Zweck (sei es zur Zucht, zur reiterlichen oder sportlichen Nutzung oder zu mehreren Zwecken gleichzeitig).

Ausserdem müssen für diese Nutzung die Pferde zwangsläufig an gewisse Situationen gewöhnt werden, mit welchen sie in der Natur oder in ihrem natürlichen Umfeld nicht konfrontiert würden.

Auch das Haltungsumfeld und die räumlichen Möglichkeiten (Raumplanung, Platz- und Landverfügbarkeit) schränken uns oft ein, wenn es nicht zusätzlich finanzielle und nicht zuletzt zeitliche Einschränkungen sind, die uns in unseren Möglichkeiten limitieren.

Wir müssen also so oder so Kompromisse machen und dem Pferd auch wohl oder übel gewisse „Manipulationen“ oder Umgangsformen beibringen, die in einem gemeinsamen Leben und in unseren gegebenen Strukturen unumgänglich sind.

So. Und jetzt wird es kompliziert: jetzt müssen wir Güterabwägungen machen und Kompromisse wohl oder übel eingehen, sofern wir am ursprünglichen Plan, nämlich der Nutzung des Pferdes in den uns möglichen Gegebenheiten festhalten wollen.

... und jetzt gibt es wohl so viele individuelle „akzeptable“ Varianten, wie es menschliche Individuen gibt....

Man muss also Prioritäten setzen:

und auch da gibt es wieder ganz verschiedene Aspekte wie:

        • Tiergesundheit
        • Tierschutz
        • Sicherheit
        • Arbeits-Aufwand-Minimierung
        • Raumplanung
        • „Naturnähe“
        • Nutzungs-Komfort
        • Zeit-Verfügbarkeit
        • Geld
        • Komfort für Mensch
        • Prestige / Modebewegungen
        • etc.

Und über jeden dieser Punkte allein im Zusammenhang mit Pferden könnte man je ein Buch schreiben, sodass es offensichtlich wird: Allen und jedem kann man es nicht recht machen!

Wir versuchen mit unseren Möglichkeiten und für uns stimmig dem Wesen des Pferdes sowohl bei der Haltung wie bei der Ausbildung und im Umgang weitest möglich Rechnung zu tragen im Bewusstsein, dass sich auch die Pferde an gewisse Situationen anpassen müssen und gewisse Dinge lernen müssen, die nicht unbedingt dem Wildpferdeverhalten entsprechen. Aber dort wo wir Kompromisse eingehen müssen, machen wir diese meist bewusst und soweit möglich unter Berücksichtigung der natürlichen Veranlagungen des entsprechenden Pferdes (es sind ja alles Individuen, die unterschiedliche Reaktionsmuster und Bedürfnisse haben).

Unser Ziel sind: Gesunde, motivierte Pferde, die ausgeglichen und möglichst „naturnah“ mit uns zusammen leben können und mit denen wir auch vielfältige Aktivitäten ausüben können. Dies Alles möchten wir möglichst in gegenseitig respektvollem, vertrautem Umgang tun können.

Als Ergänzung noch ein Quervergleich zu uns „zivilisierten Menschen“ hier in Mitteleuropa:
Viele von uns „wissen“ wie unsere Vorfahren gelebt hatten und wie unser „natürliches Habitat“ und unsere ursprüngliche und natürliche Umwelt ausgesehen hat. Und wenn Ethologen heute „wild lebende Naturvölker“ – wo es denn solche noch gibt – filmen gehen und deren Verhalten beobachten, kann man auch gewisse Erkenntnisse zum „menschlichen Wesen“ und deren „natürlichen Bedürfnisse“ erkennen. Ob wir diese aber alle wirklich auch „befriedigen“ oder in unserer heutigen Umwelt nutzen und erfüllen können, oder müssen, ist eine ganz andere Frage.

Nur ein kleines Beispiel aus diesen (fiktiven) Beobachtungen:
In der Natur lebt der Mensch (Höhlenbewohner hier also in „gemässigter Zone“ in Mitteleuropa z.B. in der Steinzeit) in Familienverbänden, die sich mehr oder weniger nahe zusammenschliessen und „Sippen“ oder „Familiengemeinschaften“ bilden. Da besteht eine klare Rollenverteilung: Der Mann ist der Beschützer, der auch auf Jagd geht und für Nahrungsbeschaffung im Wesentlichen zuständig ist, während die Frau die Kinder gebärt, umsorgt, stillt und auch die Kleinkinder erzieht und behütet, bis die Knaben gross genug sind die Männer auf der Jagd und bei der Nahrungsbeschaffung zu begleiten oder die Mädchen gross genug um den Müttern bei der „Erziehung“ und Pflege der kleineren Geschwister oder im Unterhalt der Höhle, Nahrungszubereitung etc. behilflich zu sein.
Geschlafen wurde in Höhlen, vor der Höhle brannte meist ein Feuer und eventuell auch in der Höhle, falls diese gross genug war. Die Familie und der Zusammenhalt waren lebenswichtig und die Erziehung der Kinder vorwiegend den Eltern (zuerst den Frauen, mit zunehmendem Alter ganze Familie) vorbehalten. Die kleinen Kinder wurden immer mehrere Monate, meist bis zur Geburt des nächsten Kindes gestillt, manchmal wohl auch 1-2 Jahre lang... und so weiter...

Heutige Realität bei Menschen:

      • Familien wenig Bedeutung
      • Kinder werden oft gar nicht oder wenn nur kurz (meist 3 Monate oder so, wegen Wiederaufnahme der Berufstätigkeit der Mutter nach abgelaufenem Mutterschaftsurlaub), manchmal aber auch mehrere Jahre gestillt (bis das Kind nicht mehr will, im Extremfall bis zum Schulalter).
      • Kinder müssen möglichst früh in „Fremdbetreuung“ abgegeben werden, am besten schon als Säugling in Kinderkrippen, spätestens aber ab 4 oder 5 Jahren in den Kindergarten und ab 7 Jahren in die Grundschule
      • Gleichberechtigung Mann / Frau angestrebt mit entsprechenden Erwartungen von der „Gesellschaft“, die viele Leute auch eindeutig überfordert: Stichwort: „Burnouts“
      • Entfremdung von der Natur hin in eine „technisierte, digitalisierte Welt, die dem Naturell „des Menschen“ eigentlich gar nicht entspricht.... (Zivilisationskrankheiten?)
      • Leben in geheizten Häusern mit Elektrizität, Strom, ....

Ketzerische Frage dazu: Wäre es uns in einer unbeheizten, feuchten Höhle im Winter wirklich wohler, eingepackt in Felle, was wir aus den „Naturbeobachtungen“ annehmen müssten, wenn wir die „angewandte Ethologie“ von den Pferden auf Menschen übertragen??

Wer von Euch würde ernsthaft in Erwägung ziehen das ganze Jahr über in einer unbeheizten Höhle bestenfalls mit einem offenen Feuer zu hausen?!?

© Dr. med. vet. Franz Renggli 2017 (rev. 2019)

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